Blogbeitrag

Selbstoptimierung: Auch selbstgemachter Druck kann krank machen

Geoffroy de Lestrange

Southern Europe Marketing Manager, Cornerstone

Viele verwechseln in Zeiten der Coronakrise Quarantäne und Home Office mit Quality-Time – schließlich habe man ja nun „etwas Zeit“. Doch die freigewordenen Kapazitäten sollte man lieber anderweitig nutzen als sich ausgerechnet jetzt unnötigen Stress auszusetzen. Wie können Unternehmen hierbei helfen?

Work-Life-Balance, Achtsamkeit und Selbstoptimierung – der Office-Worker von heute sieht seine Arbeitskraft häufig als eine Art „Ware“, die es möglichst gut zu pflegen und zu optimieren gilt. Doch was aus Sicht des Arbeitgebers sicherlich ein erfreulicher Trend ist, wird in der Praxis schnell zum Stressfaktor. Ein Beleg dafür sind die permanent steigenden Krankenzahlen trotz dieser hehren Ansätze. Die Corona-Pandemie und ihre sozialen Einschränkungen tragen leider nicht positiv dazu bei, um es nett auszudrücken. Schließlich falle durch das Home Office oder die Quarantäne doch der Arbeitsweg weg, was bei den ganzen Pendlern schon mal so zwei bis drei Stunden am Tag ausmachen kann. Dazu kommt, dass alle Events abgesagt wurden, auch Bars und öffentliche Einrichtung haben auf unabsehbare Zeit geschlossen oder öffnen nur unter strengen Auflagen. Freunde kann man ebenso nur eingeschränkt treffen. Warum also nicht die Zeit nehmen, sich mit sich selbst zu beschäftigen?

Gegen Corona mag es bald einen Impfstoff geben – gegen die psychologischen Folgen jedoch nicht

Erste Forscher warnen bereits davor, dass der sogenannte Lagerkoller und Mangel an sozialem Austausch psychische Folgen in der Bevölkerung haben kann – die wirtschaftlichen Folgen wie Existenzängste verschlimmern diese Depression zusätzlich. Folglich wird vielleicht ein großer Teil der Bevölkerung ebenfalls krank werden, obwohl sie nicht vom Corona-Virus infiziert wurden. Natürlich kann man die freigewordene Zeit erstmal dazu nutzen, die eigenen vier Wände zu entrümpeln oder eine neue Diät auszuprobieren. Wenn dies zur Ablenkung dient, sind solche Aktivitäten natürlich gut gesetzt, aber viele bemerken nicht, dass sie sich schnell unter Druck setzen. Denn durch die Ausgangsbeschränkungen tummeln sich mehr Menschen als sonst in den Sozialen Medien und zelebrieren dort ihre persönlichen Erfolge. Vor allem Influencer, die zuvor immer von ihren exotischen Reisen berichteten, stiegen nun auf Fitnessvideos „at home“ um oder stellten Listen zusammen, die man nun in seiner Freizeit abarbeiten konnte. Die harte Wahrheit ist aber, dass selbst Heimarbeitern oft gar nicht mehr Zeit als sonst zur Verfügung steht – besonders, wenn sie Kinder haben, die nun zuhause beschäftigt werden wollen. Plötzlich tun sich woanders ungeahnte Aufgaben auf, schließlich ist nicht jeder für das Home Office geschaffen. Die vorherrschende Ausnahmesituation kann zwar Chancen bieten, aber auch Herausforderungen und Probleme heraufbeschwören, die wir jetzt noch gar nicht wahrnehmen.

Das beste Beispiel dieser Art für unnötige Stressfaktoren sind momentan die Kinder. Denn die Schulen stehen vor dem Problem, das Wissen aus der Ferne zu vermitteln: folglich wird der Lernstoff digital zur Verfügung gestellt. Was zunächst durchaus gut und nachvollziehbar klingt, erweist sich mit Blick aufs Detail als Damoklesschwert. Denn etliche Schüler ächzen mittlerweile unter der Last, die die Schule ihnen aufbürdet. Faktisch müssen die Kinder nun überproportional mehr Aufgaben bearbeiten als in der Penne selbst – inklusive Hausaufgaben. In Nebenfächern, wo vorher nicht ernsthaft „rangekloppt“ wurde, werden die Schüler nun überhäuft mit Arbeitsblättern und Pflichtstoff aus Musik, Religion oder Geographie. Auch die Hauptfächer heben ihr Pensum deutlich an. Das Unglaubliche: Viele Kinder wollten nun wieder in die reguläre Schule, weil sie dort weniger Arbeit haben und den Stress nicht mit nach Hause nehmen. Es gab nicht einen einzigen Experten, der diese Entwicklung hat kommen sehen.

Dem Reflex der Selbstoptimierung nicht nachgeben

Dies lässt sich auch auf die Werktätigen übertragen. Schon einen normalen Arbeitsalltag über die Runden zu bringen, kann zur Belastungsprobe werden. Daher dürfen viele Arbeitnehmer den Standby-Modus jetzt nicht unterschätzen und sich selbst unter Druck setzen. Sie laufen Gefahr, sich im Laufe der Zeit auszubrennen, wenn sie nun irgendwie versuchen, für gutes Wetter zu sorgen und an sich selbst zu arbeiten. Was kursiert schließlich nicht gerade alles im Internet: Listen von Podcasts oder Filmen, die man streamen sollte – ebenso wie neue Rezepte zur veganen Ernährung. Zunächst wurde ein Klima suggeriert, als wäre Home Office und die Gesamtsituation eine Art Sabbatical. Arbeitnehmer dürfen aber nicht den Fehler machen und glauben, dass sie die vermeintliche Freizeit nun möglichst optimiert nutzen müssen. Denn auch wer es nicht merkt oder zugeben will: Die Coronakrise raubt Energie in jedem von uns. Das kann schon damit anfangen, dass man im Home Office auf jede Mail fast schon hektisch reagiert, um nicht Verdacht aufkommen zu lassen, man entspanne sich womöglich daheim. Im Büro hätte man früher auf die Mail erst geantwortet, nachdem man sich einen neuen Kaffee geholt hat. Dies mögen freilich Kleinigkeiten sein, aber sie summieren sich im momentanen Dauerstress zu einer erschöpfenden Dosis.

Unternehmen und HR-Abteilungen sind daher nun mehr denn je darauf angewiesen, ihrer Belegschaft ein Gefühl von Sicherheit zu geben – besonders, was die Arbeitsatmosphäre betrifft. Sie dürfen jetzt nicht der Verführung nachgeben und besondere Erwartungen und Anforderungen an die Mitarbeiter stellen. Auf diese Weise werden die eigenen Unsicherheiten nur abgewälzt, was den psychischen Druck zusätzlich erhöht. Es kann daher nicht das Ziel von Unternehmen und Organisationen sein, den gegenwärtigen Reflex der Selbstoptimierung zusätzlich anzuheizen, sondern es müssen nun Routinen und neue Abläufe etabliert werden. Die Welt dreht sich weiter und auch die Krise wird überwunden werden; erste Anzeichen existieren schon – obgleich gewarnt werden muss, nicht zu früh wieder in den alten Trott zu fallen. Bis dahin sollte in Zeiten der sozialen Einschränkungen besonders das Soziale bei den Firmen und Organisationen betont werden. Eine bessere Chance, die Belegschaft für die eigene Marke zu gewinnen, wird sich so schnell nicht bieten.

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