Wenn man sich mit der Identifikation, Förderung und Entwicklung etwa im Zusammenhang von Talentmanagement auseinandersetzt, kommt man an einer zentralen Frage nicht vorbei: Was ist eigentlich ein Talent?
So einfach diese Frage daher kommt, so vielschichtig ist deren Beantwortung. Das beginnt bereits bei der Unterscheidung, ob jemand ein Talent ist oder ein Talent hat. Sprechen wir also von einer vermutlich kleinen und auserwälten Elite oder von der besonderen, individuellen Begabung, die in jedem von uns steckt in der stillen Erwartung erkannt zu werden? Ob man sich nun dem Talent-sein-Ansatz oder aber dem Talent-haben-Ansatz verschreibt hat weitreichende Folgen für den Umgang mit Talent im Unternehmen.
Davon unbenommen ist die Frage, wie man Talent erkennt, unabhängig davon ob man es hat oder ist. Dieser Aspekt fokussiert auf ein nicht minder komplexes, diagnostisches Problem. Talent ist eng mit dem Konstrukt des Potenzials verbunden, der Anlage etwas in Zukunft herausragend gut zu können. Entsprechend hypothetisch ist jede Auseinandersetzung mit Talent. Woran machen wir es fest? Intelligenz, Motivation, Lerngeschwindigkeit, besondere Ausprägungen auf bestimmten Persönlichkeitsdimensionen sind sicherlich die gängigen und am meisten verbreiteten Faktoren, die in der Praxis mal mehr, mal weniger in Betracht gezogen werden.
Während nun die obigen Fragestellungen relevant sind und bereits viel dazu geschrieben wurde, geht es mir hier um einen anderen Aspekt, ein Aspekt der in besonderem Maße die soziale Dynamik innerhalb eines Unternehmens berührt. Wer befindet darüber, wer ein Talent hat bzw. ist und was sind die Folgen?
In traditionellen, hierarchischen und nach Stabilität strebenden Unternehmen ist die Antwort klar: Die Identifikation von Talent ist Aufgabe übergeordneter Führungskräfte. Dafür werden sie geschult und mit der Leistung-Potenzial-Matrix bewaffnet, die im Rahmen umangfreicher Talent Reviews zum Einsatz kommt. Weil auf oberen Etagen über Beförderungen entschieden wird, sollte auch auf diesen Ebenen entschieden werden, in wen man langfristig investieren möchte. Das klingt schlüssig. Langfristiges Vertrauen genießt, wer langfristiges Vertrauen verdient in den Augen jener, deren Vertrauen am meisten zählt.
Das funktioniert mal gut und teilweise eben nicht. Die Gründe sind jedem Praktiker hinlänglich bekannt. Warum soll man als Abteilungsleiter sein bestes Pferd im Stall nominieren, um dann damit rechnen zu müssen es langfristig zu verlieren? Will man wirklich als Führungskraft seinen zukünftigen Konkurrenten ins Rennen schicken? Neigt man vielleicht dazu, jene Personen zu fördern, die einem selbst ähnlich sind? Sind es nicht die Immergleichen, die auf dem Radar der Entscheider ins Blickfeld geraten? Die Liste praktischer Probleme ist lang. Meist haben sie mit der sozialen Dynamik der Talentidentifikation zu tun und weit weniger mit eignungsdiagnostischer Validität. Talentidentifikation hat eben nicht selten etwas mit Auf- oder Abwertung von Personen zu tun. Entsprechend wirken die zwischenmenschlichen, meist impliziten Mechanismen, die teilweise zu dysfunktionalen Ergebnissen führen.
Da kann es sich lohnen, für einen Moment über Alternativen nachzudenken. Wir stehen hier sicherlich am Anfang. Mir scheint aber, dass immer mehr Unternehmen einen anderen Ansatz immer ernsthafter in Betracht ziehen. Demnach ist ein Talent nicht dann ein Talent, wenn die übergeordneten Führungskräfte, sondern vielmehr die Anderen das so sehen. Das klingt zumindest interessant.
Man muss hier nicht reflexartig an Peer-Review denken. In Zeiten von Enterprise Social Networks kann dies heißen, dass nur jene Kollegen eine glorreiche Zukunft im Unternehmen haben, die intern zahlreiche Follower haben und sich aktiv an lateralen Austauschen beteiligen. Das ist es doch, was immer mehr Unternehmen in Zeiten der Digitalisierung wünschen. Laterale Führung und Kooperation. Vernetzte Produkte brauchen vernetzte Organisationen, brauchen vernetzte Führung, brauchen vernetzte Talente. Wir dürfen gespannt sein, wie Unternehmen in den kommenden Jahren neue Wege einschlagen und welche Erfahrungen sie dabei sammeln werden.
Das Webinar "Schluss mit Gießkanne!" mit Armin Trost zum Thema Personalgewinnung und Bausteine einer intelligenten Talent Acquisition-Strategie können Sie sich hier anhören.
Ressourcen zu diesem Thema
Sie möchten noch mehr erfahren? Entdecken Sie unsere Produkte, Kundenberichte und aktuelle Brancheneinblicke.
Blogbeitrag
Modernes Recruiting: Wie gewinnt man die Generation Goldfisch?
Der Fachkräftemangel ist für Recruiter weiterhin die Herausforderung der Stunde, auch wenn es niemand mehr hören mag - es nicht totzuschweigen. Denn eins ist sicher, heute und in Zukunft bleiben Mitarbeitende das höchste Kapital einer zukunftsfähigen Organisation und ein maßgeblicher Faktor in puncto Wettbewerbsfähigkeit. Recruiter sind angehalten, moderne Methoden zu implementieren, um im Rennen um die gefragten Fachkräfte die Nase vorn zu behalten. Dabei ist die Art und Weise, wie Unternehmen Talente ansprechen. Immer entscheidender – laut einer Studie von Microsoft Kanada liegt die menschliche Aufmerksamkeitsspanne bei nur noch 8 Sekunden! Damit wirft sich die Frage auf, wie sich die „Generation Goldfisch“ am besten ansprechen lässt.
Blogbeitrag
Talent-Pool: Wie lange dürfen Bewerbungsunterlagen gespeichert werden?
In älteren Beitragen hatten wir uns bereits ausführlich damit beschäftigt, wie man mit Kündigungen von Mitarbeitern umgeht. Doch viele Firmen speichern die Personaldaten noch lange Zeit, nachdem der Trennungsschmerz schon längst überwunden ist. Das mag noch einigermaßen verständlich sein. Doch wie sieht es mit Unterlagen von Bewerbern aus, die niemals Teil des Unternehmens waren?